In den vergangenen Jahren hat ein politischer Rechtsruck – auch unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen – stattgefunden. Dieser spiegelt sich nicht nur in Studien, Umfragen und Wahlergebnissen wider, sondern lässt sich auch an fremdenfeindlichen Äußerungen und der zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz dieser beobachten. Grenzen des Sagbaren wurden verschoben und Ängste vor Migranten bewusst geschürt. Diese Entwicklung betrifft nicht nur die politische Landschaft, sondern hat auch Auswirkungen auf das soziale Miteinander.
Forderung der Bischöfe in Schulen umsetzen
Die deutschen Bischöfe haben dagegen mit ihrer am 22. Februar 2024 einstimmig verabschiedeten Erklärung „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“ klar Stellung bezogen. In Abgrenzung zu rechtsextremen und rechtspopulistischen Positionen stellen sie darin die Gottesebenbildlichkeit aller Menschen heraus, wie sie in Artikel 1 des Grundgesetzes Ausdruck gefunden hat, und fordern in einem abschließenden Appell alle Christinnen und Christen dazu auf, Widerstand zu leisten, „wenn Menschenwürde und Menschenrechte in Gefahr geraten“, und aktiv für die „freiheitliche Demokratie“ einzutreten.
Wie diese Forderung an Schulen umgesetzt werden kann – einem Ort, an dem Menschen mit ganz unterschiedlichen Überzeugungen aufeinandertreffen, um mit- und voneinander zu lernen – darum ging es in einer Lehrendenfortbildung am Gymnasium St. Xaver.
Pflicht, für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten
Sonja Bauer, Geschichtslehrerin, Museumspädagogin am Kreismuseum „Wewelsburg“ sowie Moderatorin des Kompetenzteams Paderborn mit dem Schwerpunkt „Historisch-politische Bildung“, verwies dazu in einem hinführenden Vortrag auf die gesetzliche Ausgangslage. Demnach sollen sich Lehrende zwar gemäß dem Beutelsbacher Konsens parteipolitisch neutral verhalten und dürfen Schülerinnen und Schülern nicht ihre Meinung aufzwingen. Dies bedeutet aber nicht, dass sie zum Stillschweigen verurteilt sind, wenn gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen wird. Vielmehr sind sie verpflichtet, antidemokratischen, rassistischen, extremistischen und antisemitischen Äußerungen entschieden entgegenzutreten.
- Nicht alleingelassen: Wie wichtig und entscheidend der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen ist, um eine gemeinsame Haltung zu entwickeln und zu festigen, zeigte sich erneut beim Fortbildungstag.
- Nicht nur in der Werbung und auf Wahlplakaten: Wie Menschen tagtäglich Diskriminierungen ausgesetzt sind und welche Folgen das hat, wurde im Rahmen einer Übung im Workshop von Volker Kohlschmidt deutlich.
- Nicht einfach hinnehmen: Wie klar und angemessen auf populistische Äußerungen reagiert werden kann, veranschaulichten Dirk Damm und Julia Hansmeyer in ihrem Workshop.
Umstrittene Themen im Unterricht aufgreifen und diskutieren
Anhand von Ergebnissen empirischer Untersuchungen wie der „Shell Jugendstudie“ oder der sogenannten „Mitte-Studien“ stellte Sonja Bauer zudem heraus, dass unter Jugendlichen eine große Unsicherheit zu beobachten ist. So haben 58 Prozent der jungen Menschen Angst vor Fremdenfeindlichkeit, zugleich äußern 34 Prozent ihre Sorge vor weiterer Zuwanderung. 44 Prozent sehnen sich nach einer „Politik der starken Hand“, 81 Prozent lehnen aber extremistische Positionen ab.
Diese widersprüchlich erscheinenden Zahlen lassen den Schluss zu, dass viele junge Menschen bei wichtigen gesellschaftlichen Fragen noch unentschieden sind und Orientierung suchen – ein nach Sonja Bauer nicht zu unterschätzendes Faktum, das große Chancen für die Schule bereithält. Demnach müsse es gerade darum gehen, die politische Meinungsbildung Jugendlicher nicht extremistischen Gruppen zu überlassen. Vielmehr sollten im Unterricht bewusst Themen angesprochen und diskutiert werden, die die Gesellschaft polarisieren, um – dem Lehrauftrag des Landes Nordrhein-Westfalen entsprechend – die Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, nach eingehender Prüfung und Abwägung aller Argumente selbst einen begründeten Standpunkt einzunehmen und dabei – trotz der eigenen Position – die Meinung anderer zu achten.
Demokratie stärken – zum Beispiel mit dem Klassenrat
Eingeübt und umgesetzt werden kann so ein Vorgehen zum Beispiel im Klassenrat, zu dem im Anschluss an den Vortrag von Sonja Bauer ein erster Workshop im Rahmen des Fortbildungstages angeboten wurde. Darin veranschaulichte Systemberaterin Birgit Dellwig von der Schulberatungsstelle Höxter, welches Potential in diesem schon stark am Gymnasium St. Xaver umgesetzten klasseninternen Gremium steckt. So werden im Klassenrat Anliegen von allen Schülerinnen und Schülern diskutiert und Absprachen gemeinsam getroffen. Auch Kandidatinnen und Kandidaten für ein höheres Amt können im Klassenrat demokratisch bestimmt und zum Beispiel in die Schülervertretung entsandt werden. Kinder und Jugendliche erfahren auf diese Weise ganz konkret, wie Demokratie Mitbestimmung und Partizipation ermöglicht.
Vielfalt und Toleranz gewährleisten
Voraussetzung dafür ist, dass alle Beteiligten die gleichen Rechte und Pflichten haben. Dass das aber nicht immer der Fall ist und Menschen in unserer Gesellschaft – oft auch nur unbewusst – Nachteile aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Religion, ihres Alters oder ihrer sexuellen Identität erfahren, darum ging es in einem zweiten Workshop mit dem Titel „Ist das jetzt schon rassistisch?“. Volker Kohlschmidt, Leiter des Demokratiebüros „Vielfalt lieben“ im Kreismuseum „Wewelsburg“ und langjähriger Trainer in der Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus, führte darin den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor Augen, wie latente Vorurteile erkannt und hinterfragt werden können – eine zentrale Voraussetzung, um ein friedliches, demokratisches und tolerantes Miteinander auch an Schulen zu gewährleisten.
Auf populistische Aussagen klar und angemessen reagieren
Dass demgegenüber in rechtspopulistischen ebenso wie in rechtsextremen Parteien Ressentiments bewusst verbreitet und Ängste vor Minderheiten geschürt werden, das wurde in einem dritten Workshop deutlich. Darin veranschaulichten Julia Hansmeyer und Dirk Damm von der Beratungsstelle für Antidiskriminierungsarbeit (ADA) der Diakonie Paderborn/ Höxter e. V., wie Reaktionen auf entsprechende Bemerkungen aussehen können. Während einerseits rassistische oder andere menschenverachtende Aussagen schwere disziplinarische Maßnahmen zur Folge haben können, sei es andererseits geboten, auf populistische Äußerungen von Menschen, die kein geschlossenes rechtsextremes Weltbild vertreten und die noch empfänglich für Gegenargumente sind, so zu reagieren, dass der Inhalt ihres Ausspruchs zwar abgelehnt oder zumindest kritisch hinterfragt, nicht aber ihre persönliche Integrität verletzt wird. Stattdessen sei es wichtig, Menschen, die sich aufgeschlossen gegenüber extremistischen Parteien und den dort vertretenen Ansichten und Erklärungsmustern zeigen, auch mit ihren Sorgen und Ängsten ernst zu nehmen und mit ihnen im Gespräch zu bleiben.
Haltung und Strukturen festigen
Solche Hinweise dürften sich als wertvolle Handlungsanleitung für den Unterrichtsalltag herausstellen. Zugleich wurde während des Fortbildungstages deutlich, dass es mit dieser einen Veranstaltung nicht getan sein wird. Vielmehr dürfte es auch in Zukunft am Gymnasium St. Xaver darum gehen, die gemeinsame Haltung gegenüber verfassungsfeindlichen Positionen zu festigen und demokratische Strukturen innerhalb der Schule zu stärken. Schließlich scheint es sich beim Thema „Rechtspopulismus“ nicht um ein flüchtiges gesellschaftliches Phänomen zu handeln, sondern dürfte dieses die Schulen noch viele Jahre lang beschäftigen – mit unbekanntem Ausgang.